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Kamil das Kamel

Kamil das Kamel
Kamil das Kamel

Es war einmal ein Kamel, das hiess Kamil – der Vollkommene. Aber eigentlich war Kamil gar nicht vollkommen, jedenfalls nicht in den Augen seiner Herde. Kamil lebte zusammen mit seiner Familie und seinen Freunden in einer Oase am Rande einer grossen Wüste. Tag für Tag, wenn seine Artgenossen auszogen, um mit den Menschen zu arbeiten, lag Kamil auf seinem Pelz, schlummerte und blinzelte in die brennende Sonne. «Kamil», sagte seine Mutter dann vorwurfsvoll, «was bist du nur für ein träges Trampeltier und bequemes Kamel. Wie sollen wir in der Wüste überleben, wenn du so ein Faulpelz bist?» Kamil aber lächelte nur freundlich und sagte:

«Es sieht nur so aus, als ob ich faul sei und nichts schaffe. Ich sammle die Stille.»

Damit konnte die Kamelstute überhaupt nichts anfangen. Man konnte Wasser in seinen Höckern sammeln, aber die Stille? Das klang wirklich entschieden sehr abenteuerlich. Weil Kamil aber so ein sonniges Gemüt hatte und eine Wolle, die feiner war als Kaschmir, konnte ihm keiner so recht böse sein. So geschah es, dass er auch weiter die Stille sammelte, während die anderen geschäftig ihre Arbeit verrichteten, Lasten trugen, Karren zogen und die Beduinen auf sich reiten liessen.

Die Monate gingen dahin. Die Kamele hatten vor lauter Arbeit kaum Augen für die grüne Oase. Vermutlich hätten sie nicht einmal bemerkt, dass eine grosse Dürre über das Land kam, wenn es nicht noch heisser geworden wäre, als es ohnedies schon war. Kamele, müsst ihr wissen, sind wahre Überlebenskünstler. Wenn es ihnen zu heiss zu werden droht, können sie aus Blättern und anderen Pflanzen Feuchtigkeit beziehen und ausreichend grosse Wasservorräte in ihren Höckern speichern.

Diesmal wollte und wollte die Dürre kein Ende nehmen. Schon bald pferchten sich die Tiere zusammen, um die Hitze und Trockenheit im Schatten der Palmen zu überstehen. Aber die Sonne brannte ihnen so auf den Pelz, dass die Tiere, die im Allgemeinen als sehr genügsam und freundlich gelten, schon bald recht mürrisch und ungehalten wurden. Die Tiere? Nein, eines sass unter ihnen und lächelte zufrieden, als ob ihn das Ganze nichts anginge: Kamil, das träge Kamel.

«Du hast gut lachen», schimpften die anderen Kamele. «Kein Wunder, dass dir die Dürre nichts ausmacht. Das ganze Jahr durch hast du faul in der Gegend herumgelegen. Da bleibt man länger frisch.» Kamil aber lächelte: «Arbeit ist nicht alles», antwortete er der Herde. Da hoben die anderen Kamele überrascht die Köpfe und schauten ihn fragend an. Besonders intelligent sahen sie dabei nicht aus, aber das ist etwas anderes. Kamil jedenfalls begann und erzählte ihnen von der grossen Stille und der grünen Oase und der kühlen Wasserstelle und wie er sprach, war es den Kamelen als würde ihnen ganz frisch und kühl ums Herz. Da erkannten sie, dass man nicht nur von der Arbeit lebt, die man Tag um Tag verrichtet, sondern auch von ganz anderen Dingen. Sie schämten sich nicht schlecht, Kamil ein träges Trampeltier und einen Faulpelz geschimpft zu haben. Denn in den Vorräten, die Kamil gesammelt hatte, während sie arbeiteten, lag eine grosse Kraft, die ihnen nun half die Dürre zu überwinden.  

Seit dieser Zeit haben die Kamele eine hohe Meinung von der Stille. Man kann sie häufig auf ihrem Pelz liegen sehen. Mag sein, dass es so ausschaut, als ob sie schlummern. In Wirklichkeit aber sammeln sie die Stille. Und wenn sich eines von ihnen in Geschäftigkeit verliert, stupsen die anderen es leise an und sagen: «Sei kein Kamel. Vergiss die Stille nicht, denn du weisst niemals, wie lange die Dürre dauert.»

 
 
 

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